Viivi Luik & Katja Lange-Müller in Tallinn (29.04.2022) Foto: Aija Sakova

Am 29. April 2022 trafen sich in im Rahmen des Deutschen Frühlings in Tallinn, im  Museum für Freiheit und Okkupationen Vabamu Schriftstellerinnen Viivi Luik und Katja Lange-Müller. Gemeinsam mit dem Autor, Übersetzer und Leiter der Künstlerhauses Edenkoben Hans Thill und dem Literaturwissenschaftler und Übersetzer Cornelius Hasselblatt diskutierten wir über die Rolle der Übersetzungen und über die Verantwortung des Schriftstellers in der heutigen Zeit. Aija Sakova hat das Gespräch moderiert.

Der Anlass für die Lesung und das Gespräch "Die ungeschminkte Wahrheit und die Verantwortung des Schriftstellers" war, dass vor 24 Jahren eine Gruppe estnischer Autoren, darunter Viivi Luik, zu Gast im Künstlerhaus Edenkoben in Rheinland-Pfalz war.

Als Resultat der estnisch-deutschen Übersetzerwerkstatt Poesie der Nachbarn – Dichter übersetzen Dichter entstand der Poesieband Die Freiheit der Kartoffelkeime (1999). Katja Lange-Müller war eine der Autor*innen, die geholfen haben, estnische Lyrik ins Deutsche zu übertragen.

Im Frühjahr 2022 reflektierten Hans Thill und Cornelius Hasselblatt über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Übersetzung von Dichtung. Hans Thill organisiert und führt jährlich Lyrikübersetzungswerkstätte durch. Als Ergebnis entstehen Lyrikanthologien. Cornelius Hasselblatt hat wiederum anhand der estnsichen Beispiele die Qualität der vorliegenden Lyrikübersetzungen in Anthologien untersucht. Viivi Luiks Vorschlag war, in der Zukunft neben den Anthologien von Lyrik unterschiedlicher Länder sich mehr auf einzelne Autoren zu konzentrieren.

Im Lichte des Krieges in der Ukraine wurde im Gespräch ebenso nach der  Verantwortung und Rolle der Schriftsteller*innen in der heutigen Gesellschaft gefragt. Welche Möglichkeiten haben sie, um die ungeschminkte Wahrheit über den Einfluss der totalitären Regime ans Tageslicht zu bringen und verständlich zu machen. Welche Bedeutung kommt dem Helfen zu, kann Hilfe nur kurzfristig geleistet werden. 

Viivi Luik las aus ihrem in Origial auf Estnisch in der Kulturzeitung Sirp (16.10.2015) erschienenen Text "Von fremdem Leid, das Gott euch auf die Schwelle eures Hauses gelegt hat".  Die Überschrift dieses Viivi Luik Textes stammt aber aus Swetlana Alexijewitschs Buch „Secondhand-Zeit“. 

Katja Lange-Müller reflektiert im Nachhinein in der Zeit (15.05.2022) über die Reise nach Estland, wo sie "einem Vortrag ihrer estnischen Freundin Viivi Luik zuhörte, in dem die von der Ahnungslosigkeit und Interesselosigkeit des Westens gegenüber Osteuropa und Russland und den Texten der belarussischen Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch sprach".  Genau in Tallinn sei Katja Lange-Müller klar geworden, dass sie einen Fehler gemacht hat und den offenen Brief an den Kanzler (publiziert in Emma, 29.04.2022), in der vor der Lieferung der Waffen an die Ukraine gewarnt wird, nicht unterschreiben hätte dürfen.



Die Lesung und das Gespräch "Die ungeschminkte Wahrheit und die Verantwortung des Schriftstellers" wurde im Rahmen des Deutschen Frühlings vom Goethe Institut Tallinn organisiert und vom Leiter des Goethe Instituts Ulrich Ribbert eingeleitet. Das Gespräch wurden von Juta Schnur übersetzt.